Evdit Bakhshiyeva Archiv

Evdit Bakhshiyeva wurde 1956 in Baku geboren. Studium am Aserbaidschaner Institut für Gas und Erdöl. Ledig. Seit 2004 lebt in Deutschland. Schreibt Lyrik und Kurzprosa, übersetzt gegenwärtige deutsche Lyrik ins Russische. Betreibt Kunstfotografie. Mehrmalige persönliche Fotoausstellungen in Potsdam. Veröffentlichungen im „Potsdamer literarischen Blatt“, in den zweisprachigen Anthologien und Almanachen.

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                                                  Für Natalia Gorbatyuk

Es hat der Herr beim Volke an Talenten nicht gespart:
Gab einem das Talent zu lieben, dem andern das Talent: verzeihen.
Gab das Talent zum Träumen. Oder zum Erfinden.
Gab Wortgewalt und den Sinn des Wortes zu ergründen.
Das Talent zu glauben, das Talent zu zweifeln.
Aber einer Gabe wegen darf man jedermann beneiden:
nicht am Talent, dem eignen oder fremden, je zu leiden.

                                         Nachdichtung Erhard Scherner

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                                                  Für F. Talibowa

An manchem Tag erscheint uns unser Leben
Wie Dunkelheit auf schwarzem Hintergrund-
nach einem Bild von Bosch[1], Hyronimus-
gemalt, um uns Erinnerung zu geben.
Im Frühjahr war der Himmel hoch und weit,
vibrierte er vom Flügelschlag der Lieder.
Im Sommer roch die Sonne süß und heiß,
und abends kehrten alte Träume wieder.
Und wenn ein Herbst auch arm an Früchten war,
er blieb ein Reich der Farben und der Wärme,
durchspann das Land mit dem Altweiberhaar,
und Abschied flogen klagend Kranichschwärme.
Wir blickten ihnen von zerfahr’nen Wegen
noch lange nach, und hinter unserm Glück
begann sich, sanft noch, ein Gefühl zu regen,
unruhig, und es wich nicht mehr zurück.
Ein jeder muss an seinen Winter denken.
Kommt er nach einem Jahr, nach einem Tag?
Wird Gott auch dann uns so viel Sonne schenken
wie sie auf unsern Lebenswegen lag?                 

                                         Nachdichtung Walter Flegel

 [1] Hieronymus Bosch (eigentlich Jeroen Anthoniszoon van Aken; сa.1450-1516) war ein Maler des ausgehenden Mittelalters an der Schwelle zur Neuzeit. Er hat ein bis heute faszinierendes und nachwirkendes Gesamtwerk hinterlassen, das sich in der Interpretation jeder einfachen Deutung entzieht. Einige wenige seiner rätselhaften Darstellungen sind entschlüsselt, da Bosch aber keine schriftlichen Aufzeichnungen zu seinen Werken hinterlassen hat, hat er so manches Geheimnis mit ins Grab genommen. 

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Dass der Regen niemals fehle,
sehnen Erde sich und Seele.
Brauchen das reinigende Nass.
Den Schluck Wasser zu erhaschen,
oder – Tränen abzuwaschen.

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Im Dunkel sitze ich,
will keine Lampe brennen,
nur eine Kerze zünden.
Was macht’s, ihr Schein
ist nur von kurzer Dauer.
Ich hoffe, meine Trauer
wird bald wie Wachs 
geschmolzen sein.

                           Nachdichtung Erhard Scherner

Hinter Glas                             

Er fühlte – ich bin nicht wie alle, ich bin anders.

Worin dieser Unterschied bestand, konnte er nicht sagen. Er bewegte sich einfach anders, sah anders, atmete sogar anders.

Wenn man sich ihm näherte, lächelte man ihn an, sagte etwas, man sang sogar, aber ihm, ihm hörte man nicht zu, ihn verstand man nicht. Er redete, warf sich hin und her, er bat, versuchte zu schreien, zu klopfen, um eingelassen zu werden – alles vergebens.

Diese anderen tauchten auf und verschwanden, kamen mal fröhlich, mal traurig. Wo sie auch waren, was immer sie anblickten, sie lebten ein ihm unbekanntes Leben, während seine Welt so begrenzt war. Irgendwo in den dunklen Tiefen seines Gedächtnisses, undeutlich, sah er sie - als ob sie ihm glichen. Oder schien es ihm nur so? Hatte vielleicht Hoffnung die irgendwie in seinem Bewusstsein wohnte, dies geschönt?

Dennoch. Er hat sich entschieden. Er wird fortgehen, herausspringen aus dieser langweiligen, modrigen Eintönigkeit. Nichts hält ihn zurück, er ist bereit. Alles, alles wird sich nun ändern …

Der kleine Junge trat ins Zimmer und weinte plötzlich laut und untröstlich.

Das Aquarium – leer.

Das Fischlein, sein schöner goldener Fisch, lag auf der Erde.

Ohne Atem.

                                                                      Übersetzung Erhard Scherner

Ruf

Sie wusste genau, dass sie die Hauptperson im Haus war. Alle Familienmitglieder und sogar die Gäste bemühten sich, wie sie nur konnten, durch Geschenke oder Liebkosungen ihre Aufmerksamkeit und ihr Wohlwollen zu erringen.

Einst gefiel es ihr sehr. Sie nahm um des Vergnügens willen und voller Lebenslust teil, fand es interessant und hinreißend. Ihre Augen glänzten leidenschaftlich, wenn sie sich vollkommen dem Spiel hingab. Wenn sie ihr zuschauten, füllte sich bei allen Anwesenden das Herz mit unbegreiflicher Freude und sie schienen zusehends jünger zu werden.

Doch leider, das ist vorbei. Sie hat sich verändert. Vieles wurde ihr lästig. Die Spiele langweilten sie zunehmend in ihrem komfortablen Alltag. Immer öfter saß sie lange Zeit am Fenster und schaute traurig auf die Straße.

Niemand verstand oder wollte verstehen, was ihr fehlte, warum sie sich grämte und immer weiter entfernte. Vergeblich stopften sie sie mit Tabletten voll, versuchten, sie mit nichtsnutzigen Spielzeugen aufzuheitern. In Wirklichkeit blieb ihnen unverständlich, was sie brauchte. Unnütz blieben die Geschenke. Die aufdringlichen Liebkosungen waren nicht notwendig und auch nicht dieses abscheuliche Gelispel.

In ihren Adern siedet das Blut wie Lava. Es ist der Instinkt, das Frühlingsfieber.

Sie hatte nur das eine nötig, nur sie - die LIEBE. Ohne nachzudenken wollte sie sich ihrem mächtigen Ruf, ihrer bezaubernden Stimme ergeben.

                                                  Interlinearübersetzung ins Deutsche Natalia Liebers

                                                   Nacherzählt von Elke Hübener-Lipkau

Familienvater

Ich danke Dir, Herr, für den heutigen Tag!

Meine Kinder sind satt, die Frau ist zufrieden, die Kornkästen sind gefüllt mit Körnern und Obst. Was braucht man noch fürs Glück!

Man kann sich von den Alltagssorgen erholen, die Stille und Ruhe genießen. Auf der Erde wütet gerade ein Schneesturm. Der Wind heult. Alles ist tief verschneit, doch bei mir ist es trocken, warm und gemütlich.

Kaum zu glauben, dass der Frühling bald kommt.

Dann aber wird draußen die Wärme zurückkehren. Abwechslungsreiche Gerüche werden meine Nase reizen. Ich denke an den leichten, milden Wind, an saftiges Gras und an das vieltönige Zwitschern der Vögel.

Wie schön ist das alles, Herr!

Groß sind Deine Taten. Alles, was Du tust, ist gut durchdacht. Wann die Erde sich erholen muss, wann sie wieder erwacht, wann sie blüht und wann sie Früchte trägt. Du weißt, wann sie erwärmt  und wann sie getränkt werden und wann Schnee sie einhüllen muss.

Ich verstehe alles und nehme alles an. Nur eines halte ich für übertrieben – die Sonne scheint zu hell. Warum diese Verschwendung! Für uns wären weniger Wärme und weniger Licht ausreichend. Weil…das Licht sticht in die Augen, und mir scheint, man braucht nicht derart viel davon. Wir kämen sogar ohne Licht ganz gut zurecht und wären mit dem Leben zufrieden.

Jene, die meinen, dass sie dieses viele Licht brauchen, sind gewiss an Unmäßigkeit gewöhnt.

Sie könnten und sie müssen bescheidener leben, so wie wir, und sie sollten aufhören damit, auffallen zu wollen.

So dachte, als er sich nach dem reichlichen Mittagessen seelenzufrieden erholte,

der Maulwurf.

                                                  Interlinearübersetzung ins Deutsche Natalia Liebers

                                                  Nacherzählt von Walter Flege
 

DER KOMPONIST SERGEJ KOLMANOVSKIJ

    STELLT SEIN DEM GEDENKEN AN REICHSKRISTALLNACHT GEWIDMETES ORATORIUM „TRAUERGESÄNGE“ VOR. DIE TEXTE SIND VOM ÖSTERREICHISCHEN DICHTER PETER PAUL WIPLINGER.

    www.besucherzaehler-homepage.de