Boris Zamyatin Archiv

BORIS ZAMYATIN - Schriftsteller und Journalist. 1996 kam aus Moskau nach Deutschland. Mitglied des Moskauer Schriftstellerverbandes, Vorsitzender der „Vereinigung der russischsprachigen Literaten Deutschlands». 
Veröffentlichungen in den zahlreichen Zeitungen und Almanachen in Voronezh, Moskau, in Berlin und in den anderen Städten im Genre der ironischen Poesie und Aphoristik. 
Autor von drei Büchern der Aphorismen, seit vielen Jahren Mitglied des „Moskauer Clubs der Aphoristik“. Mehrmaliger Preisträger der internationalen Wettbewerbe. 
Seine Aphorismen werden im Internet vielfach zitiert. In Deutschland arbeitete als Redakteur in der Zeitung "EuropaExpress", Chefredakteur der Zeitschrift "Image".
Autor und Regisseur des Stückes "Paris sehen und dort bleiben". Mitglied des internationalen PEN-Clubs (Exil - PEN) Zurzeit lebt in Berlin.
    
DORT OBEN

Ein Frosch wohnte mitten auf einer Großbaustelle in einem kleinen Steinbrunnen. Er konnte sich kaum daran erinnern‚ wie er dorthin gelangt war und woher er kam. Das Trommeln der Regentropfen auf den Sumpf, der Geruch von verfaultem Gras und die dunkelgrüne Farbe des stets lauwarmen Wassers waren die einzigen Erinnerungen die ihm noch davon blieben. Das Leben im Brunnen war ungemütlich. Der viel zu enge Raum, die glitschigen Wände, worauf man nicht mal bequem sitzen konnte, um sich an der Sonne zu wärmen, regten ihn auf. Mit der Zeit gewöhnte sich der Frosch an seine Einsamkeit, unterschied das Geschimpfe des Poliers vom Lärm eines Baggers, die Mahlzeiten von den kurzen Zigarettenpausen und sogar die bösen Menschen von den Guten. Zu den Schlechten zählten die, die ihn ab und zu mit Steinen bewarfen. Aber das meiste Übel bereitete ihm die Riesenpumpe, welche ganz oben stand. Sie war unerträglich laut und schaltete sich überraschend ein. Die Wassermenge schrumpfte rasant, solange, bis die schreckliche Stahlklappe zu sehen war. Der Frosch schreckte jedes Mal auf, klebte sich an die kalte Brunnenwand, um seine ganze Kraft der Wasserströmung entgegen zu setzen. In letzter Sekunde schaltete sich das Gerät in der Regel aus, es erschien ein hünenhafter Kerl und brüllte laut herum. Er schrie, dass es so nicht weiter gehe, es kümmere sich keiner um diese Technik und dass er persönlich sich weigere, unter diesen Umständen zu arbeiten. Nichtsdestotrotz machte er etwas, wonach sich der Brunnen mit dem widerlichen, eiskalten, sauberen Wasser wieder füllte. In solchen Momenten litt der Frosch an Kälte und am Fehlen von Leidensgefährten. Aber von Natur aus war er optimistisch und ließ den Kopf nicht lange hängen. Er wusste, es gäbe keine ausweglosen Lagen, es sei nur wichtig‚ niemals den Geist aufzugeben. Manchmal blieb die Pumpe mehrere Tage nacheinander still. Das Wasser stieg hoch, erwärmte und begrünte sich, zur großen Zufriedenheit unseres Frosches. Es verbreitete sich der kaum erkennende Geruch aus seiner Kindheit. „Nur noch ein bisschen “- betete der Frosch. Würde es noch weiter steigen, könnte man auf die Brunnenkante springen, ganz nach oben, und dort... was ihn da erwartete, wusste er nicht, aber glaubte fest daran, dass sich oben alles zum Guten wendet. Denn er war, wie man schon weiß, ein Optimist!

Unumgänglich schaltete jemand die Pumpe ein, der Wasserpegel sank und alles begann von vorne. An einem Mittag ließ der Baustellenlärm langsam nach, und der Frosch genoss gerade die Sonnenwärme, es kamen zwei Arbeiter an den Brunnen heran. Einer davon war kleinwüchsig, trug ein schwarzes Bärtchen und ein Khakihemd mit offenem Kragen. Der andere - groß, mit bloßem Oberkörper und buntem Halstuch. Sie beugten sich über das Wasser, der Große nahm die Kippe aus dem Mund und schmiss sie runter. Sie sauste knapp am Frosch vorbei und dieser sprang auf die andere Seite hinüber

„Sieh mal, es breiten sich schon die Frösche aus“, - sagte der Kleine und sein Bart verschwand aus dem Blickfeld.

„Er holt bestimmt einen Stein, der Bösewicht “- ahnte der Frosch und blieb auf

der Hut, Angst hatte er nicht. Niemals zuvor wurde er davon getroffen aber ihn

ärgerten diese stumpfsinnige Versuche, ihren Willen durchzusetzen, obwohl es

sich bloß um Zeitvertreib handelte. Irgendwann machte sich der kleine Bärtige

wieder bemerkbar, streckte die Hand und ein Steinchen prallte klangvoll gegen

die Wand, was den Frosch keinesfalls beeindruckte.

„Was für ein Mutiger „ - staunte der Kleine und hob einen etwas größeren Stein. Er nahm sich genügend Zeit zum Zielen, holte aus und warf dann in den Brunnen. Doch der Frosch war schon unter Wasser und gab sich mühe möglichst lange dort zu bleiben. Als er auftauchte verschwand das Khakihemd.

Auf dem blauen Himmelshintergrund zeichnete sich der Hals mit dem bunten Tuch ab.

„ Hör jetzt auf -lass ihn zufrieden“, hörte er die Stimme.

„Ein guter Mensch, Gott sei mit dir“, kam der schnelle Gedanke in seinen Kopf. Die Zeit, ausführlich nachzudenken, bekam er nicht. Der Kleine meldete sich zurück, und die Steine flogen nun fast pausenlos, so dass er kaum Gelegenheit hatte, Luft zu schnappen.

- Warum? - dachte der Frosch und sein Herzklopfen wurde immer schneller- Was habe ich dir getan? Die Lage schien ihm ganz ernst zu sein. Länger konnte er seinen Atem nicht anhalten und tauchte kurz auf. Sogleich landete ein Geschoss in unmittelbarer Nähe. Erneut runter, dann hoch. Das Tauziehen ging weiter‚ bis der Frosch nahezu kraftlos war. Nur dank seinem starken Willen gelang es ihm bisher, den tödlichen Schlag zu vermeiden.

- Immer noch nicht genug? - versuchte der Große seinen Kumpel zur Vernunft zu bringen, - den Brunnen hast du schon zugeschüttet und die Pause ist beinah rum.

„Dass ich den nicht fertig mache! Du kennst mich wohl schlecht “- gab der Kleine nicht auf. Er nahm einen Brocken und warf ihn aufs Geratewohl. Vom Frosch war lange nichts zu sehen. Dann kam er schließlich nach oben, umrundet von einem roten Fleck.

„Zufrieden -, brummte der Große aufgebracht und riss das Tuch vorn Hals.

„Mach bitte kein Theater daraus, war ja nur ein Frosch. Oder glaubst du vielleicht, er konnte schon über seine Zukunft nachdenken?“

Wenn der Frosch sie nur hören könnte, hätte er gewiss widersprochen, was die Zukunftspläne angeht aber für ihn war alles schon gelaufen. Er blieb noch eine Weile auf der Wasseroberfläche, mit dem Bauch nach oben, dann zog ihn die brüllende Pumpe langsam an, wovor er allerdings keine Furcht mehr hatte.

Am Nachmittag regnete es stark.

DER KOMPONIST SERGEJ KOLMANOVSKIJ

    STELLT SEIN DEM GEDENKEN AN REICHSKRISTALLNACHT GEWIDMETES ORATORIUM „TRAUERGESÄNGE“ VOR. DIE TEXTE SIND VOM ÖSTERREICHISCHEN DICHTER PETER PAUL WIPLINGER.

    www.besucherzaehler-homepage.de