Alla Nosova Archiv
Alla Nosova
geboren in Kursk (Russland), studierte Kunst und Graphik, seit 2005 lebt in Potsdam, interessiert sich für Graphik und Literatur.
Langfristige Mitgliedschaft in der „Literarisch-künstlerischen Werkstatt „Potsdam“.
Fahrschein ans Meer
Heute war ich früher als gewöhnlich aufgestanden. Ich ging in die Küche, wo man durch das Fenster den Sonnenaufgang sehen kann und begrüßte die Sonne. Der Himmel war hoch und weit. Seit langem war es für mich fast zu einem Ritual geworden, die Geburt eines Tages zu beobachten. Jeder Tag ist auf neue Weise interessant. Das ist mit Worten kaum wieder zu geben. Welche Begeisterung ruft allein der Wechsel der Farben hervor. Das Gold der Sonne wird über den Himmel gegossen. Lange bin ich wie verzaubert und liebäugele mit den Launen der Wolken und den Schattierungen der Farben.
Nachdem sich Auge und Herz erfreut hatten, ging ich ins Bad. Später gab es ein leichtes Frühstück und schließlich legte ich sorgfältig Make-up auf. Ich wollte den brauen bequemen Anzug anziehen, die Dokumente, die Karte, das Geld in die Tasche packen. Es schien, ich hatte alles dabei und nichts vergessen. Den Zeitplan kannte ich auswendig. Mit dem Bus ging es zum Flughafen. Das Flugzeug sollte um 8.20 Uhr in der Frühe starten. Es war noch Zeit. Der Tag zeigte sich von seiner besten Seite. Ich war froh, niemandem von meinen Bekannten zu begegnen, der mich fragen würde „Wohin? und „Warum?“.
Im Flughafen angekommen, fand sich ein gemütliches Eckchen im Warteraum. Ich konnte alles überblicken und die Ansagen gut hören. Die Zeit verging und mein Flugzeug wurde angekündigt. Es tat gut, ohne schweres Gepäck zu reisen.
Man hatte weniger Mühe. Es zeigte sich, dass ich einen Fensterplatz ergattert hatte. Wie schön! Ich konnte genießen, wie die Sonne majestätisch aufstieg. Die Stewardess gab ihre üblichen Anweisungen. Dann verteilte sie das Frühstück.
- Nun dann, Anna Sergejewna, frühstücke! Guten Appetit! - sagte ich zu mir selbst.
Nach dem Essen las ich ein wenig in den Zeitschriften. Die Zeit verging unmerklich. Der Flug verlief problemlos. Wir landeten. Die Crew bekam Beifall. Gott sei Dank hatte uns niemand terrorisiert.
Die Lautsprecherstimme in diesem Flughafen klang sehr angenehm. Als ich durch die Halle dem Ausgang zu strebte, bemerkte ich, wie sich ein grauköpfiger Mann schnell nach mir umdrehte. Seltsam! In dieser Stadt kannte ich niemanden. Weder Männer noch Frauen. Ich konnte also niemanden treffen.
Auf dem Vorplatz angekommen, fragte ich den Mann, wie ich mit dem Bus zu einem Sportgeschäft und wie ich ans Meer gelangen würde. Ich fuhr bis zum Sportgeschäft und fand auch die richtige Abteilung. Die sympathische junge Verkäuferin hatte meinen Einkauf eingepackt und ich legte ihn in die Tasche.
Also, und jetzt, Anna Sergejewna, wird es höchste Zeit, ans Meer zu kommen! – kommandierte ich mich selbst. Beim Verlassen des Ladens bemerkte ich wieder den Mann vom Flughafen, der mich irgendwie seltsam ansah. Ach ja, fiel mir ein, ihn hatte ich doch im Flughafen nach dem Weg zum Geschäft für Sportartikel gefragt und wie ich zum Meer gelangen würde. Merkwürdig, nun ist er hier. Warum? Vielleicht will er auch etwas kaufen.
Mit dem Bus fuhr ich bis zur Uferstraße. Das Meer war ganz nah. Ich wollte ein wenig spazieren gehen, um die Zeit zu genießen. Die Stadt gefiel mir und es war angenehm, ohne Ziel herumzulaufen. Glutheiße Stille ohne den Hauch eines Windes. Die Mittagszeit rückte heran und ich dachte daran, einzukehren. Ohne Mittagessen, das wusste ich genau, würde mein Kopf wieder zu schmerzen beginnen. So nahm ich Platz, wählte aus der umfangreichen Speisekarte etwas Passendes aus und bestellte. Ich aß langsam und zögerte die Prozedur spielerisch bis zum Abend hinaus.
An einem kleinen Tisch nebenan speiste eine Familie. Ein angenehmes Pärchen, das sein Kind sehr verwöhnte, das war deutlich zu sehen. Was wird aus diesem kleinen Dicken? "Ein Wal" oder "ein kleines Fischchen"? Ich schaute dem Kleinen zu und wurde wieder nachdenklich.
Nun, hast du dich gestärkt, Anna Sergejewna? Das Essen war nicht schlecht. Ich genoss die ungewöhnliche Stimmung und meine gute Laune. Es blieb noch viel Zeit bis zum Abend. Ich wollte mich eine Weile in den Park setzen. Die Jugend spazierte herum und die Alten saßen meist auf den Bänken. Einige Männer spielten Schach.
Irgendwann wurde es mir langweilig, so zu sitzen und ich beschloss, ohne zu eilen in Richtung Meer zu gehen. Warum nur hatte ich die ganze Zeit den Graukopf aus dem Flugzeug vor Augen, der mir gesagt hatte, wie ich mit dem Bus ans Meer komme? Gott mit ihm. Was ging er mich an? Die abendliche Kühle und der Sonnenuntergang über dem Meer – Feiertagsstimmung im Herzen. Der rote Sonnendiskus schwamm langsam am Horizont fort. Es ist schwer zu sagen, was schöner ist, der Sonnenaufgang oder ihr Untergang. In meinem Schlafzimmer hatte ich oft den Sonnenuntergang beobachtet. Einmal stand ich an der Bushaltestelle, war im Begriff, aufs Land zu fahren und Erdbeeren umzusetzen. Es war fast 6 Uhr morgens. Plötzlich bot sich mir solch ein Schauspiel, wie ich es niemals zuvor gesehen hatte. Der Himmel war eine Landschaft, die grauen Wolken wirkten wie die Silhouetten von Bergen. Und zwischen den Wolkenbergen schwamm majestätisch die Sonne, deren goldener Widerschein sich irgendwo zwischen ihnen verlor. Zufällig ergab sich, dass die unvergessliche, märchenhafte Wolkenlandschaft die reale Landschaft der Erde widerspiegelte und es ist unendlich schade, dass alle Worte nicht vermögen hinreichend zu beschreiben, was ich an jenem Tag gesehen hatte.
Und jetzt dieser Abend – die unendliche Ferne über dem Meer! Der Horizont ist in Purpur und Scharlach getaucht. Diese himmlischen Höhen, die Weiten! Wie schade war es, sich von dieser zauberhaften Schönheit trennen zu müssen, doch ich hatte mich entschieden fort zu gehen. Man trennt sich nicht gern von Träumen, aber ich war fest entschlossen.
- A-a-a-a-a-a! Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich! Lassen Sie mich los! Was klammern Sie sich so fest? Ich habe weder Geld noch Schmuck! Also warum halten Sie mich fest? Wohin ziehen Sie mich?
Ach du liebe Güte! Es ist der Mann, den ich nach dem Weg zum Meer gefragt hatte. Nun hat er mich hier aufgespürt, er wird mich vergewaltigen, er wird mich töten...!
- Bitte lassen Sie mich gehen. Ich besitze kein Geld und nichts wertvolles.
- Was machen Sie hier?
- Ich bewundere den Sonnenuntergang.
- Bis zu den Knien im Wasser und mit der Tasche unterm Arm? Oder kann man so den Sonnenuntergang besser beobachten?
- Ja, ich habe nicht bemerkt, dass ich im Wasser stehe.
- Natürlich, Sie waren so beeindruckt vom Sonnenuntergang überm Meer, dass Sie die nassen Kleider auf dem Körper nicht gespürt haben. Und warum ist Ihre Tasche so schwer? Was ist darin?
- Lassen Sie mich los! Wir sind schon am Ufer und was in meiner Tasche ist, geht Sie gar nichts an. Ihre Hellsichtigkeit interessiert mich nicht.
- Gut, nur werden wir etwas weiter vom Wasser weggehen. Meine Schuhe sind schon vollko mmen nass, Ihre Sandalen auch, Ihnen ist das egal. Also, was ist in derTasche? Hanteln, ja?!! Für die richtige Schwere. Und warum hatten Sie vor, ins Wasser zu gehen?
- Lassen Sie mich gehen. Ich brauche...
- Und wie war das mit der Bewunderung des Sonnenuntergangs? So. Genug. Mein Wagen steht ganz in der Nähe. Jetzt werden wir zu mir nach Hause fahren um Ihren Anzug, Ihre Sandaletten und meine neuen Schuhe zu trocknen. Ich hab Sie doch schon am Morgen im Flughafen gesehen, denn ich begleitete einen Freund, der fliegen musste. Später fuhr ich Ihrem Bus nach und kam nach Ihnen in das Sportgeschäft. Ich sah, wie Sie die Hanteln kauften. Die Umstände begannen mich zu interessieren. Im Flughafen war Ihnen niemand begegnet, den Sie gekannt hätten. Sie hatten kein Gepäck dabei. Dann kauften Sie in diesem Laden die Hanteln. Was braucht solch eine zierliche, zerbrechliche Frau Hanteln?
Dann begann ich zu begreifen. Diese in Gedanken versunkene Frau, die ans Meer fliegt, ohne Gepäck aber mit Hanteln... ja, ich verstand jetzt, sie wollte unter Wasser mit den Hanteln die Fische erschrecken, sie wollte in Neptuns Reich eindringen.
- Lassen Sie mich los. Ich schreie gleich!.
- Wozu schreien? Es ist niemand mehr hier. Sie sind so lange umhergelaufen und haben gewartet, bis niemand mehr da war. Besser wäre, Sie sagen mir wie Sie heißen. Mein Name ist Alexander Nikolajewitsch.
- Anna Sergejewna. Nur bitte ich Sie, mich jetzt loszulassen. Mein Anzug ist schon fast trocken.
- Wie kann ich Sie bei Nacht und dazu noch in der nassen Kleidung allein lassen? Hören Sie auf, sich vor mir zu fürchten. Gehen wir!
Und dann bekam ich einen hysterischen Anfall. Diese verdammten verräterischen Tränen!
Was hatte ich für ein Leben... Ich will nicht, ich will mich nicht erinnern! Und ihm will ich nichts erzählen.
- Mach dir keine Sorgen mehr, Anna. Alles ist vorbei. Bald wirst du alles vergessen haben. Sieh mal, deine Tasche haben die Wellen ans Ufer geworfen und über der Tasche kreist eine Möwe. Sieh, fort ist sie.....
(Übersetzung ins Deutsche Elke Hübener-Lipkau)